Noch vor kurzem hätte man sich kaum träumen lassen, komplette Fotografiefestivals online stattfinden zu lassen. Aber die Not der Corona-Krise macht erfinderisch. So lief vom 19.-28. Juni das siebte LUMIX Festival für jungen Bildjournalismus unter dem Titel „10 Tage 10 Themen“ online. Über neue Formate und die Herausforderung eines digitalen Festivals sprach Felix Koltermann mit Susanne Krieg, verantwortlich für die Social-Media Strategie des Festivals und Mitglied der Vorjury des Digital-Storytelling-Awards.
FK: Das LUMIX Festival für jungen Bildjournalismus zeigt nicht mehr nur Fotoreportagen, sondern auch Arbeiten aus dem Bereich „Digital Storytelling“. Was verbirgt sich dahinter?
SK: Was diese Kategorie von anderen unterscheidet, ist dass die Geschichten mit Hilfe neuartiger Präsentationsmöglichkeiten erzählt werden. Dazu zählen z.B. Slideshows, Mutimediashows, Multimediareportagen, Scrollytelling, Webdokus, Webvideos und 360 Grad Videos. Virtual Reality kommt ebenfalls ins Spiel und auch Apps, die extra für diese Geschichten gebaut werden. Bei der Produktion wird oft in Teams gearbeitet und auch Daten und Grafiken können miteinfließen. Oft werden solche Geschichten für eine ganz bestimme Umgebung produziert. Das kann z.B. speziell das Smartphone sein, oder die VR-Brille oder ein bestimmter Social-Media-Kanal. Zusammenfassend spricht das Genre meist mehrere Sinne an, indem es verschiedene Disziplinen, auch abseits von Foto und Text vereint.
FK: Hat sich diese Genre-spezifische Vielfalt auch in den tatsächlichen Einreichungen widergespiegelt?
SK: Nur zum Teil. Am stärksten vertreten war Scrollytelling. Auch Webvideos, Slideshows und Multimedia Reportagen fanden sich häufig. Aber es gibt schon ein paar Formate, die noch viel zu wenig dabei waren. Dazu zählen für mich z.B. gute Geschichten, die nur auf sozialen Medien wie Instagram stattfinden. Ich kenne da tolle Beispiele wie etwa @wende_rewind, wo der rbb die Geschichte des Mauerfalls vom 7. Oktober 1989 bis zum 18. März 1990 Tag für Tag und in Echtzeit in den Stories nacherzählt hat. Etwas Ähnliches fehlte.
FK: Der mit 5000 Euro dotierte „Digital Storytelling Award“ wurde an die Arbeit „Ultraslut“ von Helena Manhartsberger und Katharina Neuhaus vergeben. Was zeichnet diese Geschichte aus?
SK: Die Geschichte ist deswegen so gut, weil sie dich von der ersten Minute an packt. Es geht um Lia, die trans ist. Die Reportage vereint Fotografie, Video und darüberliegende O-Töne. Mit knapp 15 Minuten ist sie ziemlich lang. Doch sie beschert einem viele AHA-Erlebnisse. Zunächst ertappte ich mich bei dem Gedanken: „Also gut, noch eine LGBT-Geschichte …“. Aber man bekommt tatsächlich nochmal neue Blickwinkel. Für mich war das z.B. die Erkenntnis, wie fließend sexuelle Identität ist und dass sie sich innerhalb eines einzelnen Lebens tatsächlich mehrmals verändern kann.
FK: Die gerade genannten Aspekte könnten auch bei einer klassischen Reportage zum Tragen kommen. Was hat zeichnet die Arbeit aus einer formalen, multimedialen Perspektive aus?
SK: Ich habe bei Multimediageschichten, die sich aus Video und Fotografie zusammensetzten, oft ein Problem damit, dass man gegen eine Wand fährt, sobald Standbilder auftauchen. Dieses Gefühl hat man bei dieser Geschichte nicht. Für bestimme Szenen war es tatsächlich besser, sie nur in einem Foto zu zeigen, statt in einem Videoschnipsel. Sehr wichtig bei diesen multimedial erzählten Geschichten ist, dass ich mir immer genau überlege, wofür ich ein Foto oder Video verwende und was ich vielleicht lieber im Text transportiere. Jedes Format muss einen Sinn ergeben an der Stelle, an der es auftaucht und dazu gehört ein gutes Konzept.
FK: Mein Eindruck ist, dass viele der gezeigten Geschichten es schwer haben, in den Online-Ausgaben deutscher Tageszeitungen gezeigt zu werden. Was muss passieren, damit diese Art von Arbeiten zum Alltagsrepertoire deutscher Onlinemedien gehören?
SK: Das Problem fängt damit an, dass der digitale Raum häufig noch wie ein Stiefkind behandelt wird. Viele Tageszeitungsredaktionen in Deutschland leben in einer verklärten Print-Vergangenheit. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt da auch ein paar Vorreiter, aber das Grundproblem sind häufig verkrustete Strukturen, in denen es schwierig ist, multimediale Geschichten zu produzieren. Man denkt immer noch zuerst an das gedruckte Produkt, das tagtäglich raus soll, aber eigentlich kaum noch Auflage hat. Ein anderes Problem ist, dass sich viele von uns Journalist*innen eher als Lonely Wolves sehen. Dabei müssten wir heute häufiger Rudel-Tiere sein. Multimediageschichten sind Teamarbeit, die eine Organisation und die Förderung entsprechender Kompetenzen in der Redaktion verlangen.
FK: Aufgrund der Corona-Krise wurde entschieden, das LUMIX Festival als Digitalversion abzuhalten. Was ist die Herausforderung, ein komplettes Festival digital abzuhalten?
SK: Am Anfang war da eine große Enttäuschung, über die man hinwegkommen musste. Aber nachdem sich alle berappelt hatten, wurde überlegt, wie wir das digital stattfinden lassen könnten. Wir mussten dann erst mal herausfinden, wie man z.B. Live-Talks und eine Preisverleihung online streamt, was man dafür alles braucht, auch an Technik. Man muss dann alles im Voraus ankündigen und erklären, damit die Leute dann zum richtigen Zeitpunkt da sind. Dafür sind die sozialen Medien extrem wichtig, weil das die Kanäle sind, in denen sich unsere Zielgruppen tummeln. Da kommunizieren wir mit ihnen und präsentieren z.B. schon mal Häppchen aus den Ausstellungen, die dann auf der Festival-Webseite in ihrer Gesamtheit abgerufen werden können. Soziale Kanäle sind so etwas wie U-Bahnlinien, die von unserer Website, von unserem Zuhause zu unseren Zielgruppen fahren.
Die Herausforderung ist, all das mit einem riesigen Team auf die Beine zu stellen, dass sich nicht vor Ort treffen kann. Stattdessen vernetzen wir uns über alle möglichen digitalen Kanäle. Wir haben über Google Docs ein weitverzweigtes Ordner-System geschaffen, in dem jedes Team seine Arbeit ablegt und dokumentiert, damit möglichst alle darauf zugreifen können, wenn sie dies brauchen. Da kann man relativ schnell den Überblick verlieren. Doch mit einer nachvollziehbaren Struktur und Leuten, die sich an sie halten, funktioniert‘s. Noch dazu sind nicht immer alle auf gleichem technischen Stand, viele von uns mussten sich erst einmal in neuartige Anwendungen und Kommunikationskanäle einarbeiten – was am Ende aber ein Gewinn war.
FK: Wenn die Krise vorüber ist und wieder Präsenzveranstaltungen möglich sind, was wünschen Sie sich, das vom aktuellen digitalen Hype erhalten bleiben soll?
SK: Trotz all der Schattenseiten, die die sozialen Medien so mit sich bringen, glaube ich an die Chancen, die in ihnen steckt, dass sie uns vor allem ermöglichen, die Menschen da draußen zu erreichen. Als Journalist*innen müssen wir aufhören, soziale Medien als Orte abzutun, in denen nur seichte Belanglosigkeiten stattfinden. Es gibt dort inzwischen viele, tolle kreative Projekte, auch auf journalistischer Ebene. Deswegen ist es wichtig, dass ein journalistisch ausgerichteter Studiengang auch in der Lage ist, ein Festival digital und mithilfe von Instagram, Facebook & Co. Zu gestalten. Ich denke, in den letzten Wochen ist vielen von uns nochmal klargeworden, dass Soziale Medien aus unserer Realität nicht mehr wegzudenken sind und für angehende Fotojournalist*innen und Visual Story Teller ein Ort sind, an dem sie ihre Geschichten ebenfalls erzählen können.
FK: Vielen Dank für das Gespräch!
Susanne Krieg ist Dozentin, Journalistin und Content Creator. Als Frau Elbville betreibt sie einen Instagram-Kanal zu Hamburg. 2019 ist Ihr Buch „Hamburg fotografieren“ erschienen, das auf Inhalten ihres Instagram-Feeds und ihres Hamburg-Blogs basiert. Sie gibt Workshops für Smartphone Fotografie und strategische Instagram-Kommunikation und arbeitet als Lehrbeauftragte an der Hochschule Hannover.
Das Interview erscheint in einer Medienpartnerschaft dem ver.di-Medien-Magazin „Menschen Machen Medien“ sowie des European Journalism Observatory (EJO).