Etwas mehr als vier Monate nach dem Ende August 2020 rechtsradikale Protestler*innen die Treppe des deutschen Reichstages besetzten, war erneut das Parlament eines demokratischen Staates Ziel von Angriffen. Der Sturm auf das amerikanische Kapitol am 6. Januar 2021 war ein Ereignis, das ein weltweites Medienecho auslöste und es auf die Titelseite fast aller lokalen und überregionalen deutschen Zeitungen schaffte.
Was am 6. Januar in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington passierte, war der traurige Höhepunkt einer Eskalation rund um die Präsidentschaftswahl. Anstatt seine Niederlage zu akzeptieren und die Bestätigung des Wahlergebnisses durch die beiden Kammern des amerikanischen Parlaments zu respektieren, organisierte Donald Trump auf der National Mall eine Kundgebung, auf der er seine Anhänger*innen dazu anstachelte, sich mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden zu geben. Im Anschluss machten sich vor den Augen der Weltpresse sowie der Livestreams die Demonstrant*innen auf in Richtung Kapitol, überrannten die überforderten Polizist*innen, stürmten die Treppen hinauf und drangen in das Gebäude ein. Was folgte war ein stundenlanges „Spektakel“, das Parlament verwüstet zurückließ, fünf Menschenleben kostete und der amerikanischen Demokratie großen symbolischen Schaden zufügte.
Bereits der Wahlkampf und die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit des Wahlergebnisses erzeugte weltweit enormes Medieninteresse. So verwundert es kaum, dass dies auch für den Sturm auf das Kapitol galt. Eine Vielzahl von deutschen lokalen und überregionalen Zeitungen wies den Ereignissen eine so große Bedeutung zu, dass das Thema von ihnen auf den Titelseiten platziert wurde. Für diesen Artikel wurden die Cover von neun deutschen Zeitung betrachtet, darunter die Welt, das Göttinger Tageblatt (GT), die Hildesheimer Allgemeine Zeitung (HiAZ), die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), die Magdeburger Volksstimme (MV), das Neue Deutschland (ND), die Stuttgarter Zeitung (StZ), die Süddeutsche Zeitung (SZ) und die Tageszeitung (taz).
Aus redaktioneller Perspektive war die Besonderheit des Ereignisses, dass es sich nach deutscher Zeit spätabends vollzog. Während die Onlinemedien und einige Fernsehsender direkt auf das Ereignis reagierten und zum Teil Live-Schaltung starteten, waren die Zeitungen für den nächsten Tag bei den meisten Verlagen bereits im Druck. Nur einige wenige Medien schafften es, das Ereignis noch in die aktuelle Ausgabe zu bringen. Am nächsten Arbeitstag dem 7. Januar war das Ereignis bereits vorbei und das Kapitol wieder unter Kontrolle der US-amerikanischen Behörden. Für die Redaktion stellte sich die Frage, ob man für die Ausgabe des 8. Januar ein Ereignis auf die Titelseite bringt, das eigentlich schon anderthalb Tage zurück liegt. Dass sich viele Redaktion genau zu diesem Schritt entschieden, zeigt den hohen Nachrichtenwert des Ereignisses und seine immense symbolische Bedeutung.
Die neun untersuchten Tageszeitungen entschieden sich bei der Bebilderung ihrer Titelseiten für Fotografien der großen Nachrichtenagenturen Agence France Presse (AFP), Associated Press (AP), Imago Images und Reuters. Dies ist insofern nachvollziehbar, als das keine der Tageszeitungen über eigene Foto-Korrespondent*innen verfügt. Die Welt und die Stuttgarter Zeitung nutzten Bilder des gleichen Fotografen Win McNamee. Das Göttinger Tageblatt und die Magdeburger Volksstimme entschieden sich für Bilder von Imago Images, ohne jedoch den Namen des/der Fotograf*in zu nennen. Mit Ausnahme der Bilder der Hildesheimer Allgemeinen und der Hannoverschen Allgemeinen, die sich für Bilder der Aufräumarbeiten am Tag nach dem Ereignis entschieden, publizierten die anderen Zeitungen Bilder vom 6. Januar, dem Tag des Sturms auf das Kapitol. Gezeigt wurden vor allem Szenen, die sich vor dem Kapitol abspielten, sowie in der Rotunde und den Gängen des Parlaments. Nur die Welt entschied sich für eine Szene aus dem Senatssaal. Die gleiche Titelseitengestaltung in Hildesheim und Hannover ist darauf zurückzuführen, dass die HiAz ihren Mantelteil von der HAZ bezieht.
Den Ereignissen in Washington und ihrer Erklärung, Einordnung und Aufarbeitung widmeten die meisten Zeitungen mehrere Seiten. Auch der Leitartikel war mit Ausnahme der Magdeburger Volksstimme und der taz bei allen Zeitungen dem Sturm auf das Kapitol gewidmet. Darüber hinaus nutzten fast alle die im jeweiligen Layout mögliche maximale Breite für die Visualisierung der Washingtoner Ereignisse aus, so dass sehr bildlastige und wirkmächtige Titelseiten entstanden. Die Bilder standen dabei weitestgehend für sich und wurden nur mit sehr knappen Bildunterschriften kontextualisiert. Text im Bild fand sich nur bei der taz und der SZ. Während bei der taz die Überschrift links oben in den Weißraum eines Bildes gesetzt wurde, platzierte die SZ einen großen blauen Kasten mit Überschrift und Teaser in der linken Bildhälfte des Aufgangs zum Kapitol. Die blaue Farbe erinnert an die Farbe der demokratischen Partei. Die taz-Überschrift „Geordnete Amtsübergabe“ ist als ironisch-kommentierend zu interpretieren. Inhaltlich stimmen Bildauswahl wie Kontextualisierung aller neun Zeitungen in ihrer Ablehnung und Verurteilung der Ereignisse überein. Zu Fragen ist jedoch, ob die prominente Platzierung von Bildern, auf denen Demonstrant*innen in heroischen Positionen zu sehen sind, nicht das gewünschte Narrativ der Trump-Anhänger bedient.
Text: Dr. Felix Koltermann